Saturday, October 29, 2011

Erasmus in Salzburg

Aleksandar Zekic verbringt das diesjährige Wintersemester in Salzburg. Der Geschichtsstudent erklärt, warum es gerade Salzburg wurde, warum es ihn ausgerechnet nach Österreich zog, und was Erasmus eigentlich bedeutet.

Aleksandar, du hast dich für ein Erasmus-Semester entschieden. Warum?
Aleksandar: Ich denke, dass in der heutigen Zeit der Austausch von Wissen und Erfahrungen in der internationalen Bildungsgemeinschaft eine enorme Bedeutung innehat. Dies dient natürlich nicht nur der späteren Aussicht auf bessere Chancen in der Berufswelt, sondern auch der persönlichen geistigen Bereicherung.
Erasmusstudent Aleksandar Zekic

Warum Salzburg? Warum Österreich?
Aleksandar: Wer einmal in Wien oder Salzburg war, der wird die Fülle der Kultur in diesen Städten nicht glauben können. An jeder Straßenecke strömt dieses Gefühl zwar nicht aus der Erde, aber aus den vielen Kaffeehäusern, aus den Instrumenten der Straßenmusiker und den Gesichtern der Menschen. Hier ist noch eines der letzten Stücke des alten Europas erhalten.

Österreich ist kein typisches Erasmus-Land für deutschsprachige Studenten. Haben dich andere Länder wie Italien oder Spanien nicht gereizt?
Aleksandar: Es sind schöne Länder, keine Frage. Aber jeder geht in das Land, das ihn am meisten reizt,  - und natürlich habe ich einen Fabel für Österreich, seine Kultur und seine Landschaften. Sicherlich liegt es nahe, dass mir die Sprache hierzulande die wenigsten Probleme bereitet. Doch ein Erasmus-Aufenthalt sollte als allerletztes so etwas wie ein Sprachkurs sein, sondern viel eher auf die Qualität der Lehre ausgerichtet sein. In Salzburg zum Beispiel ist der Fachbereich Geschichte aufgeteilt - es gibt den Bereich Geschichte, der sich aus der mittelalterlichen, frühneuzeitlichen und neuesten Geschichte zusammensetzt, und es gibt die Altertumswissenschaften. Diese setzen sich aus der Antiken Geschichte, der Altphilologie und der Archäologie zusammen. Dementsprechend ist auch zu erwarten, dass in Österreich möglicherweise eine andere Herangehensweise an verschiedene Themen an den Tag gelegt wird. 

Und wo sitzt du? Welcher Teil der Geschichte interessiert dich?
Aleksandar: Mich interessiert die Alte Geschichte.

Du bist nun schon seit dem 23. September dort, der Universitätsalltag hat bereits angefangen.  Fühlst du dich schon geistig bereichert?
Aleksandar: Das, was ich bisher gesehen habe, ist sehr gut. Die Atmosphäre hier ist einmalig. Mein Fachbereich zum Beispiel ist direkt in der Residenz des Erzbischofs gelegen, direkt im Zentrum. Die Verbindung der Geschichte Salzburgs mit der heutigen Zeit ist so stark, dass ich nur aus den Fenster zu schauen brauche, und bereits die am zentralen Platz stehenden Fiaker sehen kann.

Ist das in Marburg nicht so?
Aleksandar: Nein. Zwar ist die Atmosphäre zum Studieren in Marburg - Kommilitonen und 
Lehrpersonal - sowie die auf die Studenten zugeschnittene Stadt unvergleichlich, doch  
die Ästhetik der Lehrgebäude bildet einen starken Kontrast zu der Schönheit Salzburgs.

Noch bis Ende Februar 2012 wird Aleksandar in Salzburg sein. 
Alle  diejenigen, die an dieser Stelle neugierig geworden sind und sich für das Erasmus-Programm der Marburger Philipps-Universität interessieren, finden hier mehr dazu. 

Qualität ist ein Käsebrot

Es ist Mittwochnachmittag an einem sonnigen Herbsttag Ende Oktober; draußen ist es kalt, obwohl die Sonne sich ziemlich anstrengt und nach allen Möglichkeiten strahlt; aber sie schafft es nicht und wir frieren. In der Phil Fak jedoch, im Hörsaal 01, herrschen tropische Temperaturen.
Es ist wieder einer dieser Tage, an denen eine dieser Veranstaltungen stattfindet, die den doppelten Jahrgang und die Wehrpflichtbefreiten mit einem Male sichtbar macht. Als hätte man einen Indikator über sie gekippt, als leuchteten sie alle plötzlich in grellem pink. Überall sind sie, sitzen auf den Stühlen, auf den Fensterbänken, auf dem Boden. Neben mir.

Es ist das erste Mal, dass  ich in einer Veranstaltung auf dem Boden sitzen muss. Ich komme gerade aus einem Anthropologie-Seminar, wo wir zu sechst (inkl. Dozent) ganz locker über musikhistorische Zusammenhänge sprachen. Sogar Instrumente wurden uns in die Hände gedrückt. Aber noch nicht einmal die Flöte könnte man hier unter den knapp 300 Anwesenden herumgeben, ohne dass sie nicht erhebliche Schäden mit sich tragen oder gar verschwinden würde.

Es geht um die Grammatik des Deutschen. Und das scheint heute sehr viele zu interessieren. Vorne kämpfen zwei Dozentinnen um die Aufmerksamkeit der tobenden Menge, die sich piekt und schiebt und sich gegenseitig die Ellen in die Seiten drückt. Das Volumen des Hörsaals ist schon längst erreicht, Missmut und Stagnation machen sich breit.

Und die beiden Dozentinnen, die trotz Lärm und Rascheln und Flüstern ihre Folien durcharbeiten und Strukturen und Verbformen erklären, können so gut sein wie sie wollen; die Qualität der Lehre leidet gerade ganz offensichtlich. Denn wenn die Butter doppelt so dick ist wie das Brot, und der Käse doppelt so dick ist wie die Butter, dann kann das Brot so dick sein wie es will. 
Die Cleveren unter uns warten auf die Anwesenheitsliste, unterzeichnen mit einer geschmeidigen Handbewegung, verlassen den Raum und treten ins Leere. 

Sunday, October 16, 2011

Pure Vernunft darf niemals siegen. Ein Erklärungsversuch.


Es scheint gute studentische Tradition zu sein, sich in der ersten Woche des Studiums derart daneben zu benehmen, dass zumindest das erste Semester als Zustand peinlicher Berührung in Erinnerung bleibt. Dies setzt voraus, dass man den Höhepunkt der Einführungswoche – die Stadtrallye nämlich – in einem Zustand geistiger Umnachtung absolviert. 

Planlos in der Lahn
An dieser Stelle kann darauf bestanden werden, dass es immer leichter sei, ja zu sagen, als kostenfreiem Alkohol zu widerstehen; dass man kein Spielverderber sein wolle; dass man Fehler machen müsste, um zu wissen, was richtig ist; und dass der Ernst des Lebens noch schnell genug komme, spätestens nämlich in der Vorlesung zur Linguistik des Deutschen I.
Genau so kann aber auf wüste Erklärungsversuche verzichtet werden, denn nackte Körper und alkoholgesteuerte Triebwesen sah der Marktplatz in diesen Tagen nicht zum ersten Mal.
Das Ausschweifen der Stadtrallye wird oft als Versehen verkauft, - aber um das Kind beim Namen zu nennen, ist es doch vielmehr Grund der Veranstaltung, während das Absolvieren verschiedener Stationen viel mehr Vorwand als tatsächliche Aufgabe ist. 

Als jemand, der bereits die ein oder andere Stadtrallye beobachtet und mitgemacht hat, erschien ich am gestrigen Tage mit möglichst vielen Kleidern und ordentlich etwas im Magen. 
Und während sich das Team der B.A. Nausen (man merkt es: hier spricht der Fachbereich 09) langsam auf den Weg machte, um Aufgaben zu erfüllen und Flaschen zu leeren, machten sich die kulturwissenschaftlichen Lehren aus den vergangenen Semestern bemerkbar; nämlich die Frage nach dem wozu? Was ist es, das so lange in uns schlummert, und scheinbar nur in der OE zum Vorschein kommt? 

Im Müllsack: Opfer einer Kleiderkette
Was bringt uns dazu, Wettrennen im Tretboot zu fahren, Huckeback Slalom zu laufen und Sackhüpfen zu spielen, nur um im Anschluss den Alkoholpegel derart steigen zu lassen, dass das Meistern der folgenden Aufgaben weitaus schwerer ausfällt? 
Denn, und das muss an dieser Stelle doch einmal gesagt werden, wer wirklich clever ist, trinkt so wenig wie möglich und hüpft und tritt und läuft schneller als alle anderen Voll- oder Halbtrunkenen. 

Sicherlich mag die Freude über einen möglichen Erfolg demnach trüber ausfallen als ein tatsächlicher Siegesrausch. Und gewiss, - pure Vernunft darf niemals siegen.
Denn bei der Stadtrallye herrschen andere Gesetze; hier ist clever, wer nackt in die Lahn springt oder möglichst viele Plastikbecher Sangria verträgt, - Ruhm und Ehre verdient man sich nicht durch Intellekt, sondern herausstechende Leistungen, die im Verhältnis zum Pegel gemessen und anerkannt werden. 
Und wer einen seiner ersten Nachmittage halbnackt im Marktbrunnen verbringt, dem sei auch eher geraten, so betrunken zu sein, dass er / sie sich nicht mehr daran erinnert. 

ein Ei sicher und komplett zum Marktplatz zu
tragen, wird in der OE zur Herausforderung
Denn tatsächlich wurden dementsprechend alle Klischees bedient: wer am Donnerstagnachmittag gegen 17.00 Uhr die letzten Sonnenstrahlen eines gütigen Oktobers in der Marburger Oberstadt genoss, kam gleichzeitig in den Genuss das Ergebnis einiger Stadtrallyes zu begutachten: während die Geographen in Gozilla-Kostümen über den Platz hüpften, scharrte sich eine Gruppe von Fremdsprachlichen Philologen freizügig im Brunnen der Oberstadt. Trafen jene Parteien aufeinander, wurde in guter steinzeitlicher Tradition gebrüllt und gesprungen, bis der eindeutig stärkere Affe ausgemacht wurde. 
Während die Menge tobt, Wasser und Alkohol spritzen und das Publikum johlt, stellt sich dem Kulturwissenschaftler erneut die Frage nach dem Warum. Und aus der Ferne betrachtet, sind die gleichen Symptone zu erkennen, die auch den Menschen im Rheinland in den Wahnsinn treiben: wie im Kölner Karneval vergessen wir uns, lassen das Animalische zum Vorschein kommen, - und zwar auf Knopfdruck. 

Die OE, ein Ableger des Faschings. 
Damit sei es getan - und auch erklärt, warum der prüde Westfale sich bei dieser Show die Rolle des teilnehmenden Beobachters vorenthielt und einzig Zuschauer blieb. 

Wednesday, October 12, 2011

Oh, weh. O-E.

Mit Anthropologie ist nichts zu machen. 
Aus Anthropologen werden Arbeitslose. 
Am Fachbereich 03 sind alle faul und niemals anwesend.

10.00 Uhr am Marktplatz:
 Regen und Alkohol
Es ist tatsächlich ein hartes Schicksal, einen Studiengang zu studieren, den die wenigsten buchstabieren können und die meisten für unnötig halten. Verlassen wir Ethnologen und Anthropologen unsere Institute, stoßen wir auf eine Welt des Unverständlichen, auf Fragen von Menschen, die etwas studieren, mit dem sie später auch noch Geld verdienen.

Um zahlreichen Umschulungen und Fachlichkeitsbehauptungen (und blöden Sprüchen) in späterer Zukunft aus dem Wege zu gehen, nahm ich mir die Freiheit, meine eigene Fachlichkeit zu erweiteren; anhand eines zweiten Studienganges. 
Ja, ein zweiter Studiengang, - kein Wechsel, das sei doch noch einmal betont.
An dieser Stelle reagieren viele beinahe empört. 
Ob das denn möglich sei.
Ob es nötig sei, fragt niemand.
Nun, einen zweiten Bachelor parallel abzuschließen, ist für Studierende des Fachbereich 03 nichts Ungewöhnliches. 

Und so kommt es, dass es auch in diesem Wintersemester 2011 / 2012 eine Einführungswoche für mich gibt; eine Woche, in der getanzt und getrunken wird, in der man sich kennen lernt und eine Idee von dem bekommt, was schon bald das Leben füllt.
Vielleicht. 
Um 10.00 Uhr am Montagmorgen ist der Hörsaal 01H01 der Philosophischen Fakultät voll von Studierenden der Bachelor Deutsche Sprache und Literatur, Germanistik, Medienwissenschaften und Sprache und Kommunikation.
Einen Platz haben die wenigsten, denn die Sitze sind hier tatsächlich in der Unterzahl; es dauert, bis die Fachschaft sich das Wort verschafft. Ein kurzer Einstufungstest soll die Stimmung heben, doch es ist stickig und der Scherz wird nicht verstanden; darüber kann auch der architektonisch einmalige Charme der Phil Fak nicht hinweg täuschen. 

Etwas später an diesem Tag und an einem anderen Ort, sieht all dies schon anders aus; mit knapp neunzig weiteren aufgeregten Erstis sitze ich in einem Marburger Kaffee und erlebe, wie sich mein Alter bemerkbar macht, - bzw. mich bemerkbar macht.
Barbara, schallt es über den Tisch, und ich brauche Zeit, bis ich die dazugehörige Person geortet habe. Barbara, wann hast du Abitur gemacht? Du hast doch bestimmt ein FSJ gemacht, oder zwei …?
Festung des Geistes: unverwüstlich
trotzt die Phil Fak dem Wetter
Dass mir derart groß 22 auf der Stirn steht, während mein Umfeld zarte 18 Jahre zählt und gerade frisch von der Schule kommt, war mir nicht so sehr bewusst. 
Ich muss mich erklären, warum ich immer noch hier bin, warum ich nun auch noch Sprache und Kommunikation studiere. Und mit der Zeit und mit den Gläsern werde ich immer mehr zum Veteran, der aus einem vergangenen Leben berichtet, der weiß, wo man hier was trinken kann, der Erfahrungen von sich gibt und Semester vorkaut. Ich erzähle Menschen aus Köln und Berlin, dass Marburg gar nicht so klein ist, beruhige Menschen aus München, dass das Wetter gar nicht so schlecht ist, hier in Marburg, wo sich in diesen Tagen Regen und Nebel sammeln. 
Um zehn beschließe ich, nach Hause zu gehen, denn dann wird es Zeit für Menschen meines Alters. 

Ein wenig skeptisch bin ich; ob es das richtige ist. Ob ich wirklich so alt aussehe. Und ob ich nicht übertreibe.