Sunday, October 16, 2011

Pure Vernunft darf niemals siegen. Ein Erklärungsversuch.


Es scheint gute studentische Tradition zu sein, sich in der ersten Woche des Studiums derart daneben zu benehmen, dass zumindest das erste Semester als Zustand peinlicher Berührung in Erinnerung bleibt. Dies setzt voraus, dass man den Höhepunkt der Einführungswoche – die Stadtrallye nämlich – in einem Zustand geistiger Umnachtung absolviert. 

Planlos in der Lahn
An dieser Stelle kann darauf bestanden werden, dass es immer leichter sei, ja zu sagen, als kostenfreiem Alkohol zu widerstehen; dass man kein Spielverderber sein wolle; dass man Fehler machen müsste, um zu wissen, was richtig ist; und dass der Ernst des Lebens noch schnell genug komme, spätestens nämlich in der Vorlesung zur Linguistik des Deutschen I.
Genau so kann aber auf wüste Erklärungsversuche verzichtet werden, denn nackte Körper und alkoholgesteuerte Triebwesen sah der Marktplatz in diesen Tagen nicht zum ersten Mal.
Das Ausschweifen der Stadtrallye wird oft als Versehen verkauft, - aber um das Kind beim Namen zu nennen, ist es doch vielmehr Grund der Veranstaltung, während das Absolvieren verschiedener Stationen viel mehr Vorwand als tatsächliche Aufgabe ist. 

Als jemand, der bereits die ein oder andere Stadtrallye beobachtet und mitgemacht hat, erschien ich am gestrigen Tage mit möglichst vielen Kleidern und ordentlich etwas im Magen. 
Und während sich das Team der B.A. Nausen (man merkt es: hier spricht der Fachbereich 09) langsam auf den Weg machte, um Aufgaben zu erfüllen und Flaschen zu leeren, machten sich die kulturwissenschaftlichen Lehren aus den vergangenen Semestern bemerkbar; nämlich die Frage nach dem wozu? Was ist es, das so lange in uns schlummert, und scheinbar nur in der OE zum Vorschein kommt? 

Im Müllsack: Opfer einer Kleiderkette
Was bringt uns dazu, Wettrennen im Tretboot zu fahren, Huckeback Slalom zu laufen und Sackhüpfen zu spielen, nur um im Anschluss den Alkoholpegel derart steigen zu lassen, dass das Meistern der folgenden Aufgaben weitaus schwerer ausfällt? 
Denn, und das muss an dieser Stelle doch einmal gesagt werden, wer wirklich clever ist, trinkt so wenig wie möglich und hüpft und tritt und läuft schneller als alle anderen Voll- oder Halbtrunkenen. 

Sicherlich mag die Freude über einen möglichen Erfolg demnach trüber ausfallen als ein tatsächlicher Siegesrausch. Und gewiss, - pure Vernunft darf niemals siegen.
Denn bei der Stadtrallye herrschen andere Gesetze; hier ist clever, wer nackt in die Lahn springt oder möglichst viele Plastikbecher Sangria verträgt, - Ruhm und Ehre verdient man sich nicht durch Intellekt, sondern herausstechende Leistungen, die im Verhältnis zum Pegel gemessen und anerkannt werden. 
Und wer einen seiner ersten Nachmittage halbnackt im Marktbrunnen verbringt, dem sei auch eher geraten, so betrunken zu sein, dass er / sie sich nicht mehr daran erinnert. 

ein Ei sicher und komplett zum Marktplatz zu
tragen, wird in der OE zur Herausforderung
Denn tatsächlich wurden dementsprechend alle Klischees bedient: wer am Donnerstagnachmittag gegen 17.00 Uhr die letzten Sonnenstrahlen eines gütigen Oktobers in der Marburger Oberstadt genoss, kam gleichzeitig in den Genuss das Ergebnis einiger Stadtrallyes zu begutachten: während die Geographen in Gozilla-Kostümen über den Platz hüpften, scharrte sich eine Gruppe von Fremdsprachlichen Philologen freizügig im Brunnen der Oberstadt. Trafen jene Parteien aufeinander, wurde in guter steinzeitlicher Tradition gebrüllt und gesprungen, bis der eindeutig stärkere Affe ausgemacht wurde. 
Während die Menge tobt, Wasser und Alkohol spritzen und das Publikum johlt, stellt sich dem Kulturwissenschaftler erneut die Frage nach dem Warum. Und aus der Ferne betrachtet, sind die gleichen Symptone zu erkennen, die auch den Menschen im Rheinland in den Wahnsinn treiben: wie im Kölner Karneval vergessen wir uns, lassen das Animalische zum Vorschein kommen, - und zwar auf Knopfdruck. 

Die OE, ein Ableger des Faschings. 
Damit sei es getan - und auch erklärt, warum der prüde Westfale sich bei dieser Show die Rolle des teilnehmenden Beobachters vorenthielt und einzig Zuschauer blieb. 

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