Wednesday, February 22, 2012

Von Zeit zu Zeit

Der Aschermittwoch ist, ähnlich dem deutschen Sommer, eine Spaßbremse.
Gerade hatte man sich auf komische Art und Weise gewöhnt, ständig daran erinnert zu werden, dass der Mensch vom Affen abstammt, - da hört die tolle Woche schon ruckartig auf.
Vollkommen selbstverständlich waren sich Ritter und Dornröschen in der Biegenstraße begegnet, Löwen, Tiger, Bienchen und Kätzchen trafen sich zur gemeinsamen Balz am Cineplex und Supermärkte verkauften bunt-bemalten Locherinhalt für Geld.
Der Mensch ist ein Komiker; und das in aller Konsequenz.
Denn so schnell alles begann und so sehr bunte Scharaden ohne Zweifel daher kamen, so unverzüglich kommt der Tag, an dem alles endet. 
Asche wird uns auf die Stirn in Form eines Kreuzes gemalt, und dieses Mal ist es keine Verkleidung, sondern ein Bekenntnis. 

Die Zeit des ungestümen Spaßes ist vorbei; ungeschminkt und humorlos nehmen wir alte Identitäten wieder auf, schlüpfen nicht ins Drachenkostüm, sondern in unsere Arbeitskleidung, in das, was uns vertraut ist. Genau so, wie wir in den letzten Tagen auf Kommando fröhlich sein konnten, fallen wir zurück in gewohnte Zustände. 

Der Mensch ist ein Schlitzohr:
er verkauft Schnipsel für Geld.
Die Fastenzeit beginnt; und so manch einer verzichtet nach einer kurzen Zeit der Völlerei und der gelebten Todsünden auf all das, was zuvor doch so gut tat oder schmeckte. Schokolade, Chips, Gummibären, Pudding (und im Falle des Mensapuddings ist dies ein geradezu wahnsinniger Verlust), Fleisch, Fernsehen; alles, was uns vorher davon abhielt, in unserem Planeten einzig einen schweren Gesteinsbrocken zu sehen, der mit etwa 30 km/s durchs All rast. 

Aber Leben heißt  verzichten; und wann verzichten wir schon gerne? 
Der Mensch braucht für viele Dinge eine Zeit. 
An Silvester werden Pläne geschmiedet, die uns zu einem besseren, glücklicheren Menschen machen sollen. An Geburtstagen beginnen, unabhängig vom Kalenderjahr, neue Zeiten für den Jubilar. Jeder Monat bietet eine Neu(er)findung, jeder Montag einen neuen Anfang, - auch wenn es sich selten danach anfühlt. 
Nun, die Fastenzeit; für all diejenigen, die Strukturen brauchen, um sich selbst im Zaun zu halten. Oder für diejenigen, die sich gern zeitlich besinnen; für diejenigen, die durch ihren Glauben zum Verzicht und zur Bestärkung finden. 

Es gibt für alles eine Zeit. 
Aber eigentlich, wenn wir es uns denn eingestehen, - bräuchten wir kein terminliches Kommando; nicht zum Fröhlichsein, nicht zum Verzicht, nicht zu Neubeginnen. 
Aber es lebt sich nun mal leichter. 

Tuesday, February 14, 2012

Und wieder: Leere

Die Semesterferien, - sie sind da.
Sie sind die stark erwartete Konsequenz einer Zeit, die nur mit dem übermäßigen Verzehr von Kaffee und Schokolade zu überleben war. Eine Zeit, in der es so schnell hell und wieder dunkel wurde, dass es beinahe Angst machte. Eine Zeit, in der Schlaf zu knapp und Wissen geballt erschienen. 
Für manche ist diese Zeit noch immer Gegenwart und Zukunft, noch lange nicht Vergangenheit. In den kommenden Wochen haben einige von uns einen Marathon zu absolvieren, der sich wenig malerisch wie eine Serpentine an der Côte d’Azur durchs Semestergebirge schlängelt. 

Diejenigen, die den Prüfungszenit schon überschritten, finden - anders als erwartet - keine paradiesischen Zustände vor sich, sondern kühles Brachland aus Zeit. Und Fragen.
Denn so lange war das Ziel nun schon der Weg, dass es auch nach Erreichen nicht mehr genügt, am Ziel zu sein. 
Mit den Semesterferien ist es wie mit Weihnachten; man hat bereits erlebt, dass es geschah. Und man zweifelt das baldige Erscheinen gar nicht an; aber wenn es dann tatsächlich so weit ist, - fühlt man so vieles. Und doch so erstaunlich wenig.

Wir sind überrascht. 
Denn das ging wirklich schnell. Schneller als wir dachten in den wirklich elenden Momenten unbarmherzigen Lernens.
Wir sind überfordert. 
Denn wir wollen uns angemessen verhalten, wissen aber nichts mit der Zeit anzufangen, sobald sie und wir uns selbst überlassen werden. 

Wir sind enttäuscht.
Denn wir hatten uns so viel vorgestellt, während unsere rauchenden Köpfe über dem internationalen phonetischen Alphabet, über ex- und instrinsischen Zungenmuskeln und Saussure hingen.
Wir hatten uns vorgestellt, was wir mit der Zeit anfangen würden; mit all der Zeit, die wir vor einer Woche noch in fremdbestimmtem Dasein mit anderen Dingen füllten.
Wir sind es gewohnt, Aufgaben zu erfüllen. 
Zeit sinnvoll zu nutzen, ist eine der schwierigsten Aufgaben. 
Und wir stellen sie uns selbst. 

Nun sitzen wir hier. Antriebslos und desillusioniert.
Erschlagen von der Zeit und unserer Ratlosigkeit.

Und wundern uns über unsere eigenen Probleme; über die Wandlungsfähigkeit der Zeit, über unsere eigene Unzufriedenheit, über unsere Wahrnehmung und: darüber, dass wir uns ernsthaft darüber auslassen, dass wir vergaßen, zu genießen, - dabei haben wir doch nun so viel Zeit, es wieder zu erlernen. 
Denn auch die Semesterferien bestehen nur aus Zeit; einem Rohstoff, der sich einfach so mit den Stunden verflüssigt. 

Thursday, February 9, 2012

Menschen und Launen

Es gibt viele Dinge in dieser Welt, die uns an einem glücklichen Zusammenleben hindern. Es gibt die ACTA und den Klimawandel. 
Es gibt Menschen, die Fleisch essen, und es gibt Menschen, die darauf verzichten.
Es gibt Meinungsunterschiede, die uns auf Palmen bringen. 
Und es gibt Launen.

Launen, die wir selbst mit und in uns tragen. Und Launen, die andere - also jeder andere außer uns selbst natürlich - mit sich herumtragen. 
Launen können das Leben leichter machen.
Und sie können es erschweren, können zu Lawinen werden, die uns unseren Tag aufs Gründlichste verderben, und unsere Mitmenschen auf eine harte Probe stellen.

Meist sind Launen nicht einfach da, - auch für sie gibt es Gründe, Ursachen, Erklärungen. 
Nur müssen wir damit rechnen, dass wir nicht jedem die Gründe unserer Laune erklären können oder wollen. Manchmal kennen wir sie noch gar nicht. 
So kann es geschehen, dass eine Laune fälschlicherweise für einen Charakter(-zug) gehalten werden kann. 
Das ist uns unangenehm, denn wir zeigen ungern unsere bestialische Seite.

Die Ursache einer Laune ist genau so vielseitig wie ihre Realisierung: Bus verpasst, schlechter Schlaf, kein Frühstück, frühes Aufstehen, kein Kaffee, ein langer Arbeitstag, die Erkenntnis, dass Marburg nicht am Meer liegt, schlechtes Wetter, Kopfschmerzen, lange Warteschlangen, keine Schokolade, es ist zu kalt, es ist zu warm, ...

Der Mensch stellt sich gerne an.
Alles kann zur Laune werden.

Soweit die Theorie.

Ein Ort, an dem die deutsche Laune immer wieder aufs Neue geprüft wird, ist die Post. 
Die Post mit ihren Warteschlangen und unterbesetzten Schaltern. 
Doch ich habe Glück an diesem Samstagmorgen: Nur eine Person steht vor mir, wartend, einen Brief in der Hand. Ich habe ein großes Paket unterm Arm und freue mich, dass ich keine 10 Minuten warten muss. Heute geht es schnell.
"Es ist ganz leicht", sage ich und stelle das Paket zwischen die Frau und mich, als ich endlich an der Reihe bin. Man beäugt mich misstrauisch.
"Das ändert nichts am Preis." Sie motzt, denn auch in ihrer Welt ist es Samstagmorgen, auch in ihrer Welt ist es kurz vor zehn Uhr, - und sie kann sich nicht darüber freuen, dass ich so schnell an der Reihe bin. Denn sie steht hier noch bis 14.00 Uhr.
Ich gucke verdutzt, denn mit so viel Unlust habe ich nicht gerechnet. 
"Ich wollte es ja auch nur einmal gesagt haben", nuschle ich in meinen Schal. Aber meine Erklärung wird als Protest, als Frotzelei, empfunden. 
"Ja, das bringt Ihnen aber nichts!" Sie hat nun ihre Stimme gehoben, als rede sie mit einem Kind, das einfach nicht verstehen will. 
Ich nicke. "Ja. Ich wollte es nur einmal gesagt haben." 
Sie sagt nichts, betrachtet das Paket, klebt etwas darauf und sagt: "6,90 Euro."
Das ist viel. Ich lege ihr in maximal unfreundlicher Geste 10 Euro auf den Schalter. 
Es ist Samstagmorgen und für Diplomatie ist es für uns beide noch zu früh. 
Doch die Dame ist ein sensibles Wesen.
Sie versteht paralinguistische Zeichen, kann sie lesen und mein Missmut ist ihr in diesem Moment bewusst geworden.

"Das geht heute noch raus", sagt sie etwas milder und hievt das Paket zu den anderen. 
Ich gehe. 

Wären wir beide nicht so miese launendeutsche Menschen an diesem Samstagvormittag gewesen, hätten wir mehr Spaß an menschlichen Begegnungen haben können.