Monday, November 14, 2011

Die Schizophrenie des Seins

Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist der, dass die Theorie so lange gehaltlos bleibt, bis sie tatsächlich verifiziert wird, bis sie sich ergibt - oder eben nicht. 
Ein weiterer Unterschied ist, dass gewisse Dinge in der Praxis auftauchen können, mit denen man in der Theorie so gar nicht gerechnet hat.

Die Theorie - und auch die Praxis - sagt: zwei Studiengänge zu studieren, ist machbar. 
Es ist möglich, mit ein wenig Vorarbeit und der Bereitschaft, Kompromisse zu finden und einzugehen. Es ist möglich, mit ein bisschen Verzicht, mit bewussten Entscheidungen gegen das Ausschlafen und für durchlesene Nächte, - die man mit toten Klassikern wie Ferdinand de Saussure oder Jean-Jacques Rousseau verbringt. Es sind Entscheidungen gegen die Wissensträgheit und für den Schlafmangel, und manchmal auch für soziale Askese. 
Aber es ist kein Akt der vollkommen Selbstaufgabe, es ist keine absolute Verpflichtung, es ist nicht viel dabei; nur ist es wenig romantisch. 

Was die Praxis aber noch verrät - und die Theorie völlig außer Acht ließ - ist eine weitere Begleiterscheinung des Doppeltätigseins, die weitaus mehr zu Grübeln übrig lässt: das Zweigeteiltsein nämlich. 
Das Abwägen der einzelnen Studiengänge im steten Hinterkopf; das Gefühl, im einen Studiengang nur zu Besuch, im Anderen nur auf der Durchreise zu sein. Der jeweils andere Studiengang erhält für den gefühlten Moment Nebenfachcharakter, und doch zählt auch der momentane Grund zur Anwesenheit nur halb. 
Es ist eine binäre Zwickmühle, ein Hin und Her, ein Ping-Pong-Spiel zwei magnetischer Felder und der Student hüpft. 

Es ist schwer loszukommen von dem Gefühl,  nicht 100%ig zu der Masse im Hörsaal oder Seminarraum zu gehören. Und es ist noch schwerer, zu vergessen, dass es Fachbereiche ohne Anwesenheitspflicht gibt, wenn auf zwei Fehltermine in der Anwesenheitsliste ein großes X folgt. Mit einem Male stellt die eigene Wahrnehmung sich Beine und stolpert kurz darauf über dieselben; in Linguistikveranstaltungen erscheint Anthropologie purer Esoterik gleich; in Ethnoseminaren hingegen wirken die Ausmaße der Kulturwissenschaften aufs Neue und das Erlernen frikativer Laute scheint mit einem Male unbedeutend im Spiegel des Weltgeschehens. 

Nicht bewusst geschieht diese innere Zwietracht, diese Schizophrenie des Seins; viel eher leise schleichend hinterlässt sie einen bitteren Nachgeschmack und den Wunsch, doch endlich zu wissen, wohin man eigentlich gehört. 
Dabei geschieht der Unterschied doch beiläufig; und entscheiden muss ich mich glücklicherweise auch nicht mehr, denn die Entscheidung ist schon längst gefallen, - auf beide Studiengänge, und auf ein Stückchen Schizophrenie bei all der Horizonterweiterung. 

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