Thursday, April 5, 2012

Theorie und Praxis: Das Ethnologie-1x1

Eine Feldforschung zu unternehmen, ist fester Bestandteil der Ethnologie und bewährter Vorgang zum Verständnis einer Kultur. 
Empfohlen wird, mindestens ein Jahr lang an einem Ort zu sein, um Menschen und Gewohnheiten kennen zu lernen, um vertraut zu werden und zu sein, um zu verstehen. 
Schon im ersten Semester wird der angehende Ethnologe mit Begriffen der Teilnehmden Beobachtung und mit Erzählungen von Malinowski, Levi-Strauss oder eigenen Dozenten konfrontiert und auf diese Art der Kulturerschliessung vorbereitet. 

All dies war uns so geläufig; es ist das 1x1 der Ethnologie. 
Und auch, wenn wir uns nicht verrechnen, müssen wir es doch hier, in Ungarn, noch einmal durchgehen.
Wir wissen, dass wir nicht vorpreschen sollen in das Leben anderer, wir wissen, dass der Mensch sensibel ist und dass wir einfühlsam sein sollen.
Wir wissen, dass man eine Feldforschung vorbereiten und planen kann, und dass sie im Endeffekt doch ganz anders verlaufen kann, - dass sie sogar fehlschlagen kann.
Wir wissen, dass die Besonderheiten in den kleinen Dingen liegen können und dass wir vieles oft nicht sehen. 
Wir wissen, dass wir fragen sollen, dass wir nie aufhören sollen, neugierig zu sein.
Aber in diesem Moment sind wir diejenigen mit dem für alle sichtbaren Fragezeichen über den ratlosen Köpfen.  

Denn all das ist Theorie und wir stehen nun hier und sind ein bisschen unschlüssig. 
Unschlüssig, denn so viel haben wir in drei Semestern gelesen und so einfach wir die gelesenen Seiten hinter uns liessen, so sehr verstehen wir doch jetzt, wie viel Arbeit hinter einer jeden Seite steckte. 
Es ist wie bei einer Gleichung, die uns in ihrer Lösung vollkommen einleuchtend erscheint. Doch jetzt, wo wir am Zuge sind, ist uns bereits die kleinste Variable unbekannt und das Herangehen - geschweige denn das "Lösen" - fallt uns schwer. 
Vom Lösen müssen wir uns generell verabschieden. 
 
Doch der Respekt vor unserer Aufgabe wächst und wir wissen nicht, wo wir beginnen sollen. 
Während wir uns gestern noch in touristischer Manier auf Budapester Pflaster bewegten, sind wir heute, keine vierundzwanzig Stunden später, eingetaucht in eine Welt, in deren unsichtbar gesponnenen Fäden wir uns verstricken und verheddern.  

Kultur ist ein Eisberg; nur 20 % sind sichtbar, und sagenhafte 80 % liegen versteckt unter der spiegelglatten Oberfläche des tückischen und fabelhaften Kultureismeeres. 
Was wir vorher bereits wussten, wird uns nun aufs Neue deutlich, und auch wenn wir uns ärgern, ist es nötig, ein weiteres Mal die Kluft und die Verbindung zwischen Theorie und Praxis zu verstehen.

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